Das gekaute Essen
- Daomonk- Michu
- 16. Mai
- 1 Min. Lesezeit
Eines Morgens saß Meister Xuěfēng vor dem Kloster unter einem klaren blauen Himmel, die Sonne schien hell herab.
Ein eifriger Mönch trat zu ihm und fragte:
„Meister, was fehlt mir? Warum sehe ich die Wahrheit nicht?“
Xuěfēng blickte ihn an und sprach:
„Wenn du sofort erkennst, wie die Dinge sind, ist das der beste Weg. Warum kommst du zu mir? Ein echter Zen-Schüler isst nichts, was ein anderer gekaut hat. Sieh die Sonne – sie scheint klar, ohne Hindernis. Was fehlt dir?“
Der eifrige Mönch fragte weiter:
„Aber Meister, wenn ich nicht zu Euch komme, woher soll ich dann wissen, was richtig ist?“
Xuěfēng stand auf, nahm einen kleinen Stein vom Boden und hielt ihn dem Mönch hin.
„Hier, iss diesen Stein.“
Der Mönch starrte ihn an, verblüfft. „Meister, das kann ich nicht essen!“
„Genau“, sagte Xuěfēng und ließ den Stein fallen. „Ich kann ihn nicht für dich kauen, und du würdest ihn nicht schlucken, selbst wenn ich es täte. Warum also verlangst du, dass ich die Wahrheit für dich zerkaue? Sie liegt ungehindert vor dir, wie die Sonne am Himmel. Nimm sie selbst in die Hand.“
In diesem Moment schaute der Mönch zum Himmel auf. Die Sonne blendete ihn, doch er spürte ihre Wärme auf seinem Gesicht. Plötzlich lachte er laut auf, ließ sich auf die Matte fallen und saß still da, ohne ein weiteres Wort.
Xuěfēng murmelte vor sich hin:
„Vielleicht hat er endlich aufgehört, nach gekautem Essen zu suchen.“

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